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Wellen.Brecher: „Werner nimmt sich oft das Mikro und hat halt viel zu sagen”

Seit 2018 schafft das Inklusionsprojekt Ick Mach Welle einen barrierefreien Zugang zur elektronischen Musik für Menschen mit Behinderung. Im Studio des Projekts werden Teilnehmer:innen die Werkzeuge der Musikproduktion an die Hand gegeben. Sie bauen selbst Beats und produzieren Tracks. Im Fokus stehen ganz pragmatisch die künstlerische Entwicklung und Vorbereitung möglicher Live-Auftritte.

Wellen.Brecher sind das erfolgreichste Projekt von Ick.Mach.Welle. Seit sechs Jahren mischen Wellen.Brecher mit ihrem Mix aus Electro, Punk und Techno die Szene auf. Ihr Sound ist roh, irgendwo zwischen EBM, Breaks und Neunziger-Techno verortet, gepaart mit unmissverständlichen Ansagen. Nun steht ihr erstes Album Liebeserklärung auf Killekill in den Startlöchern.

Wellen.Brecher sind Uwe Locati alias DJ Locati, Dave Senan alias Senator, Hanni von der Hoyerswerdaer Punkband Pisse und Werner Soyeaux alias Bläck Dävil. Wir sprachen mit Sänger Soyeaux und Manager Nico Deuster, während der Rest der Gruppe den Auftritt am Samstag in der Kantine am Berghain probte.

GROOVE: Wie hat sich Wellen.Brecher als Band zusammengefunden? 

Nico Deuster: Wenn jemand zu uns kommt, der Potenzial hat, arbeiten wir mit dem. Wir treffen uns ein-, zweimal im Studio und dann gucken wir, in welche Richtung das gehen könnte. Meistens suche ich dann Mentor:innen in meinem Netzwerk. Dann treffen die sich, fangen an rumzuspielen, zu arbeiten, und manchmal entstehen daraus eben Bands – wie bei Wellen.Brecher.

Wellen.Brecher ist eigentlich das Herzstück von Ick Mach Welle. Früher hießen sie Ick Mach Welle-Band. Das hat sich einfach ergeben, weil wir anfangs nur einen Tag in der Woche zusammen waren. Damals hatten wir auch das Studio noch nicht. Wir sind mit mehreren Leuten in einen Raum gegangen und haben zwangsläufig zusammen musiziert. Daraus ist die Band entstanden.

Werner Soyeaux: Wir haben uns regelmäßig hier im Studio getroffen und irgendwann bemerkt, dass wir gut zusammenpassen. Wir haben einfach Musik gemacht, Sachen produziert und geguckt, was gut ist.

Framegrab aus dem Musikvideo zu „Tierisch Verboten” von Wellen.Brecher

Ihr kombiniert elektronische Musik mit Punk-Elementen. Wie hat sich dieses Konzept entwickelt?

Nico: Geplant war es nicht. Es hat sich einfach so ergeben. Werner nimmt sich oft das Mikro und hat halt viel zu sagen. Und ein großes Talent für Texte. Er erzählt irgendwas, und die anderen jammen dazu. Daraus entwickelt sich dann ein Stück.

Der Titel Liebeserklärung klingt erst mal sanft, aber euer Sound sagt etwas anderes. Was bedeutet der Name für euch?

Nico: Ich finde das gut, weil es diesen Bruch gibt. Es ist nicht das, was man erwarten würde. Es klingt ein bisschen schnulzig, beißt sich auch mit dem Cover.

Werner: Ich mag besonders „Türöffner”, denn ich höre für mein Leben gerne Techno. Oder „Julia”. „I Love You Baby” – das sind Liebeserklärungen.

Ihr zitiert häufig aus der Musikgeschichte der letzten 40 Jahre. War das eine natürliche Entwicklung im Studio oder hattet ihr diese Idee schon, als ihr angefangen habt am Album zu arbeiten?

Werner: Beides. Zum Beispiel der Track „Tierisch Verboten”: Das „Wann endlich küsst du mich” stammt von einem Plakat vom U-Bahnhof Weberwiese. Da hat einer mit Kreide auf den Boden geschrieben. Der Titel „Tierisch Verboten” selbst ist aus dem Film Sonnenallee.

Nico: Die Einflüsse sind mannigfaltig. Ich weiß auch nicht, woher du deine Ideen beziehst. Vor kurzem kam er rein und meinte: „Schöne neue Welt, wir haben ein Problem.” Das sind Sprüche, die kannst du sofort auf ein T-Shirt drucken. Was die Musikgeschichte angeht: Die Bezüge entstehen unfreiwillig. Es geht nicht darum, Zitate zu platzieren, das kommt eher von selbst.

„Kaputt” klingt nach purem Electropogo. Was steckt hinter dem Track?

Nico: Werner hat oft Wut in sich, was viel mit den Lebensumständen zu tun hat. Das hat jeder auf die eine oder anderer Art. Aber wenn man benachteiligt ist, ist das nochmal anders. Manchmal kommt er schon sehr wütend hier im Studio an. Wir haben also gesagt: Versuch doch mal, das in einem Text zu fassen. So ist das Stück entstanden. Es ist alles total direkt. Werner kommt hier rein, nimmt das Mikro und haut es einfach so raus.

Werner: „Kaputt” ist kaputtschlagen. Den Stuhl kaputtschlagen, das Radio kaputtschlagen, das Fenster kaputtschlagen.

Framegrab aus dem Musikvideo zu „Tierisch Verboten” von Wellenbrecher
Framegrab aus dem Musikvideo zu „Tierisch Verboten” von Wellen.Brecher

„Voice of a Generation” hebt sich mit seinen Trance-Elementen vom Rest des Albums ab. Welche Idee steckt dahinter?

Nico: Musikalisch ist der ruhiger und melodischer. Aber ich finde bei einem Album immer gut, wenn es ein Spektrum gibt.

Werner: Der ist durch eine Doku, die ich gesehen hab‘, entstanden. Es ging um die Entsorgung von Elektroschrott. Das beschäftigt mich einfach. Egal, was wir kaufen: Bügeleisen, Toaster, Kaffeemaschine, Lautsprecher werden zigtausendfach hergestellt, und zwei Jahre später gibt es schon ein neues Modell. Obwohl das alte noch gut ist, wird es trotzdem entsorgt und ein neues gekauft. Alle jammern: „Ich hab‘ eigentlich gar kein Geld, ich muss ja noch Miete zahlen”. Dann gehen sie aber in einen Laden und kaufen sich die neue Lampe, die nur einen anderen Lampenschirm hat. Das alte Sofa ist nicht mehr schön, dann hau‘ ich das weg. Wo landet das alles? Entweder auf der Straße oder in Entwicklungsländern. Vieles, was dort ankommt, funktioniert gar nicht mehr. Das wird dann auf die Müllhalde gebracht und von Kindern verbrannt.

Mit Tierisch Verboten setzt ihr ein klares Statement für Inklusion. Wie wichtig ist euch politische Haltung in eurer Musik?

Werner: Mir persönlich sehr, und Inklusion auf jeden Fall. Entweder fallen alle oder keiner. Wenn Leute feiern wollen, egal ob sie eine Beeinträchtigung haben oder nicht, warum sollen die Leute nicht feiern? Warum soll einer mit einer Gehhilfe nicht in die Disco gehen? Die müsste dann aber auch barrierefrei sein. Viele sind nicht barrierefrei.

Wellen.Brecher (Foto: Chris Hartl)

Nico: Und da gibt es noch ganz viele unsichtbare Barrieren. Gerade in der Clubszene. Dort geht es viel um Exklusivität. Man definiert sich ja darüber, dass man in der Szene ist und zusammengehört. Man grenzt sich nach außen ab. Das ist ein Widerspruch zur Inklusion, den man nicht wirklich auflösen kann. Ganz lösen lässt sich das nicht, aber das ganze Thema ist auf jeden Fall eines, bei dem in der elektronischen Musikszene noch viel zu tun ist.

Wo zum Beispiel?

Nico: Es fängt schon bei der Werbung für Partys an: Das sind Hürden für Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Die ganze Sprache, die ganzen Codes. Das sind relativ viele Barrieren, wo die Clubszene noch viel machen könnte. Zum Beispiel könnte Resident Advisor angeben, ob eine Location barrierefrei ist. Die fordern Inklusion, aber an eine riesige Gruppe von Menschen wird nicht gedacht. 15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben einen Behindertenausweis.

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