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Barker: „Ich mache mir meine Probleme selbst”

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Wenige Künstler:innen navigieren die elektronische Musiklandschaft mit dem stillen Einfluss und der unermüdlichen Neugier von Sam Barker. Respektiert für seine clubtauglichen Produktionen wie für seine zukunftsweisenden Experimente mit Rhythmus und Klang, bewegt sich der Berghain-Resident und Mitbegründer von Leisure System mühelos zwischen Tanzflächen und avantgardistischen Räumen.

Das beweisen auch hochgeschätzte Releases wie Utility von 2019, mit dem Barker erstmals ein Techno-Album ohne Kickdrum vorlegte. Ein Ansatz, der den gebürtigen Briten zu neuen Tanzflächenklängen führte. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen an sein neues Album Stochastic Drift, das kürzlich auf Smalltown Supersound erschienen ist. Mit einer Mischung aus experimentellen Soundscapes und treibender Energie bleibt Barker darauf seinem Drang nach Innovation treu.

GROOVE-Autor Jacob Hession traf Sam Barker in seinem Berliner Studio, um mit ihm über britische Sound-Traditionen, deutsche Tugenden und Flaschen im Berghain zu sprechen.

GROOVE: Fangen wir am Anfang an. Wie bist du zur Musik gekommen?

Sam Barker: Ich war auf einer Schule, die ein kleines Studio hatte – so eine Art Besenkammer mit Teppich an den Wänden. Gleichzeitig spielte ich in einer Band, und wir wollten eine Demo aufnehmen. Also gingen wir in dieses Studio. Das war 1996, die Computer hatten winzige Festplatten, alles war low budget. Glücklicherweise hatte der Lehrer auch einen [Sequential Circuits, Anmerkung der Redaktion] Pro-One-Synthesizer, mit dem ich experimentieren durfte. Ich merkte ziemlich schnell: Das ist das Beste überhaupt.

Wie ging es dann weiter?

Nachdem wir ein paar Low-Quality-Demos mit der Band aufgenommen hatten, habe ich gemerkt, dass ich all das auch mit Synthesizern und Samples machen kann. Von da an war es ein natürlicher Übergang zur elektronischen Musik. Ich kannte damals aber niemanden, der so was machte, also war es schwer, Informationen zu finden. Es gab ein paar Magazine wie Future Music und Sound on Sound. Einmal war ich auf der Website von Orbital, die hatten so eine Fan-Seite namens Orbitz, auf der man eine Liste mit dem Equipment für ihre Alben finden konnte. Ich habe die ausgedruckt und dann jede Woche die Kleinanzeigen durchforstet, ob jemand eines der Geräte verkaufte.

War Orbital dein Einstieg in elektronische Musik?

Irgendwie schon, ja. Ich wollte unbedingt wissen, wie sie diese Sounds gemacht haben. Damals bekam man analoge Geräte teilweise für 50 Pfund. Ich nutzte das aus. Später habe ich in Brighton Digitale Musik studiert, das nennt sich heute Sonic Design, und gegen Ende des Studiums fing ich an, Partys zu veranstalten.

Was für Partys waren das?

Wöchentliche Live-Musik-Abende in einem Veranstaltungsort direkt an der Küste. Es gab auch Jam-Nächte, bei denen wir einfach improvisiert haben. Das war kein Club im klassischen Sinn, eher eine gemütliche Bar mit Blick aufs Meer. Durch diese Events lernte ich Ned Beckett kennen, der gerade die Booking-Agentur LittleBig Music Agency gegründet hatte. Er brauchte Hilfe, also begann ich dort als Praktikant. Daraus wurde dann ein Job. Und irgendwann wollten wir beide das UK verlassen – also planten wir gemeinsam den Umzug nach Berlin. Das war Anfang 2007.

Barker (Foto: Presse)

Wie lief das ab?

Wir gründeten die Agentur in Berlin neu und fingen an, die Leisure-System-Partys zu organisieren. Darüber lernte ich Andy [Baumecker, Anm.] kennen, der damals Booker im Berghain war. Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut. Und Berlin war damals sehr günstig. Man musste nicht viel arbeiten, um seinen nicht-kommerziellen Interessen nachzugehen. Es war ein großartiger Ort für Künstler:innen. Ich finde, das ist es kulturell immer noch – aber finanziell sieht’s heute ganz anders aus als vor 18 Jahren. Aber gut, die Dinge verändern sich!

Hattet ihr beim Start von Leisure System ein konkretes Konzept?

Andy wollte eine größere musikalische Vielfalt ins Berghain bringen. Freitags war der Club damals noch nicht belegt, also fingen wir mit Leisure System an. Es war eine der ersten externen Partys, die dort stattfanden. Unser Auftrag war eigentlich: Bloß kein Techno oder House. Aber das war in Berlin zu der Zeit ein schwieriger Pitch – die Stadt war bekannt für einen ganz bestimmten Sound. Minimal war riesig. Die Leute mochten es eher langsam.

„Musik muss tanzbar sein. Aber wenn man andere Wege ausprobiert, kann man ganz neue Gefühle hervorrufen.”

Barker

Wie hat sich das entwickelt?

Jahrelang war 128 BPM quasi die Geschwindigkeitsgrenze im Berghain. Wir buchten dann Venetian Snares, Jon Hopkins und Flying Lotus. Damit kam allmählich eine breitere Palette an BPM ins Spiel – und langsam, aber sicher fand sich auch ein Publikum dafür.

Danach hast du viel mit Andy gearbeitet. Wie kam es zur Zusammenarbeit?

Zu dem Zeitpunkt waren Andy und ich schon befreundet. Er stieg auch gerade tiefer ins Musikmachen ein, kaufte Synths, produzierte Tracks. Ein Freund bat ihn um einen Remix. Andy hatte eine Idee, war sich aber unsicher, ob er sie alleine umsetzen konnte. Also setzten wir uns zusammen – und das Ergebnis hat uns gefallen. Andy hatte ein gutes Gespür dafür, wann etwas fertig ist.

Wie ergänzt ihr euch?

Ich hatte wenig Ahnung von Dance Music oder ihrer Struktur – ich kam eher aus der Produktionsrichtung als vom DJing. Bei Andy war es genau andersrum: Er kannte Tanzmusik in- und auswendig, wusste aber nicht, wie man sie macht.

Du lebst jetzt fast 20 Jahre in Berlin. Hast du noch Bezug zur britischen Musikszene?

Ich habe immer noch eine tiefe Wertschätzung für den britischen Sound. Es gibt eine tolle Tradition offener, experimentierfreudiger Künstler aus London, Bristol, Sheffield oder Manchester. Wenn man damit aufwächst, lernt man Dinge zu schätzen, die anders sind. In Deutschland war es zunächst eher technisch: Man wollte seinen Sound perfektionieren. Aber rhythmisch war vieles sehr konservativ – alles brauchte einen Four-to-the-Floor-Beat. Das hat sich in Berlin inzwischen aber verändert. Diese Genre-Snobismus ist zum Glück weitgehend passé.

Dein Album Utility war ein großer Schritt, weil du die Kick-Drum weggelassen hast. Was hat dich dazu inspiriert?

Mein Freund Taku Hirayama hatte eine Sammlung beatloser Musik, die wir zusammen hörten. Dann kam die Idee: Wie wäre es, ein DJ-Set zu spielen, in dem die Kick nie einsetzt? Irgendwie eine bescheuerte Idee – aber ich fing an, solche Tracks zu produzieren. Die lagen dann ein paar Jahre rum, bis Alex Samuels, der gerade Ostgut Ton übernommen hatte, fragte, ob ich Musik für ihn hätte. Ich schickte ihm ein paar Stücke. Ich dachte, die seien halbfertig, es fehle noch Percussion. Aber Alex meinte: „Die sind fertig.”

Also war Alex Samuels wichtig für dein Vertrauen in die beatlosen Tracks?

Auf jeden Fall! Er wurde so etwas wie ein Mentor. Auch bei der letzten EP auf Smalltown Supersound hat er mir hilfreiches Feedback gegeben. Wenn man etwas hundertmal hört, verliert man den Blick fürs Ganze. Da hilft es, jemanden mit frischen Ohren zu haben.

Wie war das bei Stochastic Drift?

In den letzten fünf, sechs Jahren hat sich viel verändert – in meinem Setup, aber auch in dem, was mich interessiert. MIDI-gesteuerte akustische Instrumente machen mir aktuell besonders Spaß.

Gab es ein Konzept für das Album?

Es ist eher so etwas wie ein Tagebuch der letzten fünf Jahre. Die Stücke sind chronologisch geordnet – die ältesten am Anfang, die neuesten am Ende. Ein richtiges Konzept war das aber nicht. Trotzdem spiegelt es die Zeit wider. Es gab viele Unterbrechungen, Chaos, Hoffnung, Verzweiflung, aber auch sehr ruhige Phasen. All das beeinflusst die Musik – zumindest ein bisschen.

Macht sich der Abstand zur tanzbaren Musik auch an deinem mentalen Zustand bemerkbar?

Wahrscheinlich, ja. Ich bin aktuell weniger in Umgebungen unterwegs, in denen Musik funktionieren muss. Es interessiert mich gerade mehr, was Musik sonst noch kann. Es gibt ja eigentlich keine Grenzen. In dem Sinne ist es komisch, dass so viel Musik nur für den Dancefloor gemacht wird.

Findest du das zu einengend?

Total. Es ist wie eine Aufgabe, die sich viele stellen: Musik muss tanzbar sein. Aber wenn man andere Wege ausprobiert, kann man ganz neue Gefühle hervorrufen. Als ich mein letztes Album gehört habe, fühlte es sich sehr introspektiv an – fast wie ein innerer Dialog.

Du hast vorhin die mechanischen Instrumente erwähnt. Waren die wichtig fürs Album?

Ich habe mich schon lange für mechanische Musik interessiert und vor 15 Jahren angefangen, selbst Dinge zu bauen – mit Solenoids und einem LED-Board. Das erste Mal habe ich das in Detroit ausprobiert: Ich war sechs Wochen dort und wollte die Sounds der alten Fabriken einfangen. Mit Ray 7, einem Perkussionisten von Underground Resistance, bauten wir ein Setup im alten Packard Plant. Da fanden früher riesige illegale Raves statt. Wir fanden zwei verrostete Autos, montierten Solenoids daran – und machten daraus einen Track.

Klingt großartig.

Der Plan war, die Architektur hörbar zu machen. Ich habe auch mal eine kleine private Aktion im Berghain gemacht. Alles dort ist aus Metall – wenn man etwas anschlägt, schwingt es. Ich wollte zeigen: Man kann den Charakter des Ortes hörbar machen – ganz ohne PA.

Wie funktioniert das?

Es bleibt eine Art Klangresonanz, auch wenn keine Musik läuft. Ich war mal an einem Montagmorgen dort, da kehrte ein Reinigungskraft gerade Flaschen weg, ein paar rollten die Treppe runter – und es ergab ein polyrhythmisches Muster. Und ich dachte: Dieser Raum macht alles zu einem Berghain-Sound.

Hast du Pläne, in diese Richtung weiterzumachen?

Gerade nicht konkret. Aber es gibt andere Installationsprojekte, an denen ich arbeite.

Im selben Bereich?

Grob gesagt: Es geht immer um Raum und Akustik. Zum Beispiel war ich in Hongkong und habe nachts im Fleischmarkt mit solenoiden Installationen gearbeitet. Oder wir fanden mal drei ausrangierte Klaviere auf der Straße. Mit meinem Freund Taku haben wir daraus spontane Installationen gemacht. Ich mache eben komische Sachen zum Spaß.

Scheint so.

Das erinnert mich an meine Skateboard-Zeit. Wir suchten immer nach Treppen, Geländern, Kanten. Ich habe jahrelang geskatet – und heute sehe ich Architektur noch immer mit diesem Blick. Ein schönes Stück Marmor? Direkt interessant!

Skatest du noch?

Nein, ich bin mittlerweile etwas unsportlich. Aber das Skateboarden hat mir beigebracht, überall Potenzial zu sehen. Auch bei den mechanischen Projekten: Ich klopfe ständig Dinge an und frage mich: Ist das magnetisch?

Barker (Foto: Presse)

Wie schaust du heute auf diese Instrumente?

Die Geräte, die ich jetzt nutze, sind extrem ausgeklügelt – gebaut von meinem Freund Kay Sievers. Er war mal Teil des Linux-Entwicklerteams. Heute baut er Instrumente auf einem ganz anderen Level. Er macht die Platinen, programmiert Software und Firmware.

Wie habt ihr euch kennengelernt?

Als meine Ausstellung im Berghain bestätigt wurde, hatte ich sechs Wochen Zeit. Ich hatte diese Piano-Idee, wusste aber: Das schaffe ich nicht allein. Also fragte ich herum – und wurde Kai vorgestellt. Er war sofort dabei. Seitdem sind wir befreundet. Ein lustiger Typ – und ein wahnsinniger Problemlöser. Er hat für alles eine Lösung.

Hast du das Gefühl, dass du ständig Probleme löst?

Zu 90 Prozent, ja. Aber: Ich mache mir meine Probleme selbst. Ich entscheide, was ein Problem ist – und wie wichtig es ist. Für Außenstehende wirkt das oft abstrakt.

Erlaube mir eine zufällige Frage: Wie benennst du deine Tracks?

Ich habe Notizbücher, in denen ich Dinge aufschreibe, die mir auffallen oder wichtig erscheinen. Wenn ich Musik mache, blättere ich durch und schaue, was ich damals gedacht habe.

Was liest du gerne?

Meistens Sachbücher – vor allem über das menschliche Bewusstsein. Ich versuche, weniger über Politik zu lesen, das inspiriert mich musikalisch nicht. Zuletzt las ich The Psychology of Spirituality – ein spannender Blick auf alternative Therapieansätze.

Was fasziniert dich daran?

Zu verstehen, wie der Geist funktioniert – oder zumindest einen besseren Zugang dazu zu bekommen. Das hilft mir wirklich in allen Lebensbereichen.

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