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Erst mal lesen, dann glauben: Studie wirft Zweifel an Awareness-Konzepten auf

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Awareness-Konzepte und -Teams gehören mittlerweile zum guten Ton innerhalb der Club- und Festivalkultur. Seit einigen Jahren etablieren sich Awareness-Kollektive, -Vereine und eigens eingerichtete -Abteilungen innerhalb von Clubvertretungen.

Auch in weitere Veranstaltungsbereiche wie Tagungen und Konferenzen fand Awareness Einzug. Nicht zuletzt steigt auch das wissenschaftliche Interesse. Dass nun eine frisch eingetroffene Studie die Wirksamkeit von Awareness-Konzepten anzweifelt, stimmt auf den ersten Blick wenig optimistisch – zumindest alle, die mit Awareness arbeiten oder sich dafür einsetzen. Doch wie sich im Folgenden herausstellen wird, sollten diese Ergebnisse nicht so heiß gegessen werden, wie sie gekocht wurden.

Doch zuerst zu den Hard Facts: Die Studie wurde im Rahmen eines Sammelbandes verschiedener Abschlussarbeiten der IST-Hochschule für Management und der Eberhard-Karls-Universität Tübingen veröffentlicht. Die Masterarbeit von Katharina Scariot titelt „Analyse des subjektiven Sicherheitsgefühls von Besuchenden durch das Vorhandensein von Awareness-Konzepten auf Rock- und Pop-Festivals in Deutschland”. Scariot geht dabei der Frage nach, ob das subjektive Sicherheitsgefühl von Besucher:innen durch das Vorhandensein eines Awareness-Konzepts gestärkt wird und ob nach binär aufgeteiltem Geschlecht Unterschiede auftreten.

Das Untersuchungsfeld bilden dabei Rock- und Pop-Festivals, weil diese in Deutschland am stärksten besucht werden und somit der Pool an möglichen Proband:innen erhöht werden konnte. Die Ergebnisse erscheinen auf den ersten Blick niederschmetternd. Die Autorin konnte keinen signifikanten Unterschied im subjektiven Sicherheitsgefühl von Festivalbesucher:innen bei Festivals mit oder ohne Awareness-Konzept feststellen. Lediglich bei weiblichen Personen sei ein kleiner statistisch relevanter Unterschied messbar. Zu allem Überfluss schließt die Autorin aus dem explorativen Forschungsteil ihrer Studie, dass sich Besucher:innen durch die Anwesenheit von Awareness gar unsicherer fühlen würden als in deren Abwesenheit. Doch diese ernüchternden Ergebnisse sollte man, wie alle wissenschaftlichen Publikationen, gründlich durchlesen, bevor man zu voreilige Schlüsse zieht.

Die ersten Ungereimtheiten

Aufmerksamen Leser:innen fallen beim Ergebnisteil nämlich zwei Ungereimtheiten auf. Zum einen arbeitet die Autorin mit dem Konzept der Kriminalitätsfurcht, das nur einen Aspekt von Awareness-Belangen abdecken kann, und zum anderen gesteht auch sie bei ihrer explorativen Datenanalyse, die wohl die brisantesten Ergebnisse lieferte, Limitationen ein.

In diesem Teil der Befragung wurden Personen zu ihrem individuellen Sicherheitsgefühl auf Festivals befragt. Danach wurde ihnen ein Einleitungstext zu Awareness-Konzepten vorgelegt. Nach dem Lesen dieses Textes fiel der Mittelwert des subjektiven Sicherheitsgefühls statistisch signifikant niedriger aus. Ein interessanter Fund, der die Frage aufwirft: Fühlen sich Personen durch das Vorhandensein von Awareness-Strukturen sogar unsicherer? So leicht ist dieser Schluss nicht zu ziehen, wie Scariot selbst in der Diskussion anmerkt.

Auf Festivals der FKP Scorpio – hier das Southside – wurden die Daten erhoben (Foto: Tobias Wawak)

Denn über sogenannte Framingprozesse und Verfügbarkeitsheuristiken kann die Wahrnehmung der Studienteilnehmer:innen verzerrt werden. Somit kann ein Text zu Awareness und möglichen Gefahren auf einem Festival dieses Gelände erst als unsicher erfahrbar machen, wodurch Gefühle des Unwohlseins entstehen. Zudem kann ein solcher Text Wissensbestände bezüglich Gefahrenpotenzialen und Gewaltkonstellationen auf Festivals der Personen aktivieren. Durch diese angesprochenen Deutungsrahmen und Informationen bewerten die Personen die subjektive Sicherheitswahrnehmung schlechter als zuvor.

Dadurch erscheint die Folgerung, die Teilnehmer:innen würden sich ohne Awareness-Konzept sicherer fühlen als mit, als fragwürdig. Es kann lediglich festgestellt werden, dass Personen bei einer Verfügbarkeit von Informationen zu Awareness ihre individuelle Sicherheit als schlechter einstufen.

Die feinen Unterschiede

Auch das Konzept der Kriminalitätsfurcht, mit welchem das individuelle Sicherheitsgefühl theoretisch unterfüttert wurde, kann nur schwer die Vielfalt an Belangen greifen, mit welchen Awareness-Teams potenziell konfrontiert sein können. Unter Kriminalitätsfurcht wird die Wahrnehmung von Bedrohung durch Kriminalität verstanden – sie kann sich also auf tatsächlich messbare Parameter oder individuelle Empfindungen beziehen. In Abgrenzung zu sozialer Kriminalitätsfurcht, die sich auf Kriminalität im geografischen Umfeld der Person beruft, arbeitet Scariot mit der personalen Kriminalitätsfurcht.

„Besonders im Kontext von Nachtleben, also in Bars, im Club oder auf Festivals, weitet sich der Zuständigkeitsrahmen von Awareness-Teams aus.”

Demnach verweisen ihre Ergebnisse zum subjektiven Sicherheitsgefühl der Proband:innen auf tatsächliche oder vorgestellte individuelle Viktimisierungswahrscheinlichkeiten krimineller Handlungen. Die in den letzten Jahren vermehrt aufploppenden Berichte aus der Presse, aber auch aus der Wissenschaft zeigen jedoch: Besonders im Kontext von Nachtleben, also in Bars, im Club oder auf Festivals, weitet sich der Zuständigkeitsrahmen der Awareness-Teams aus.

Zwar stehen die Awareness-Personen für Betroffene von diskriminierenden und/oder gewaltvollen Handlungen zur Verfügung, jedoch unterstützen sie auch in Situationen, die mehr mit den Spezifika des Feierkontextes als kriminellen Übergriffen zu tun haben. Manche Teams setzen dabei einen eher medizinischen Fokus und bieten Unterstützung bei Überkonsum und Fragen zu Safer Use sowie kostenlose Menstruations- oder Verhütungsprodukte an, während andere zudem mit persönlichen Konflikten oder generellen Grenzüberschreitungen und Unwohlsein beschäftigt sind.

Die vielen Verantwortlichkeiten

In diesen Fällen ist das Awareness-Team auch ansprechbar, wenn beispielsweise eine Person von der Laustärke oder großen Menschengruppen überfordert ist oder aber auf einem weitläufigen Festivalgelände ihre Freund:innen verloren hat. Dabei zeigt sich, dass die Verantwortlichkeiten und Unterstützungsmöglichkeiten von Awareness-Teams weit über das kriminelle Spektrum hinausreichen. Es ist also fraglich, ob das subjektive Gefühl von Sicherheit bei der Forschung zur Wirkung von Awareness-Konzepten tatsächlich ausreichend mit dem Konzept der Kriminalitätsfurcht zu greifen ist. Angemessener wäre es gewesen, noch weitere Aspekte des Festivalkontextes in der Theorie aufzugreifen, die zum Wohlbefinden der Besucher:innen beitragen und für die Awareness-Teams ansprechbar sind.

In diesen zwei Anmerkungen zum Vorgehen von Scariot liegt der eigentliche Knackpunkt. Bezüglich der oberen Punkte räumt die Autorin Limitationen nach wissenschaftlichem Duktus im Diskussionsteil folgerichtig ein. Anhand der Studie wird aber eine wichtige Frage sichtbar, die aktuell noch nicht klar zu beantworten ist: Was genau ist Awareness? Bei der Studie im Hinterkopf zu behalten ist, dass sie sich auf das Awareness-Konzept des Großveranstalters FKP Scorpio bezieht, der unter anderem die Festivals Hurricane und Southside veranstaltet. Dieser arbeitet nach dem „Wo geht’s nach Panama?”-Prinzip.

Das Awareness-Team des CSD Nürnberg (Foto: CSD Nürnberg)

Wenn eine Person Unterstützung sucht, kann sie sich beim Personal mit dem Codewort „Panama” melden und wird dann an das Awareness-Team weitergeleitet. Zwar wird das Awareness-Konzept im Vorhinein digital und auch auf dem Festivalgelände klar sichtbar über Aushänge und Plakate kommuniziert, Awareness jedoch eher als reagierende Struktur implementiert. Das heißt, der Fokus der Awareness-Arbeit liegt in der Unterstützung von Betroffenen im Fall von Grenzüberschreitung, Gewalt und/oder Diskriminierung. So ist es verständlich, dass Personen sich nicht unbedingt sicherer fühlen – sprich: Wenn ich Ansprechpersonen im Fall von Grenzüberschreitungen habe, die Veranstalter:innen aber wenig bis gar nichts tun, um das Festivalgelände sicherer zu gestalten, weiß ich zwar wohin bei, aber fühle mich nicht geschützt vor Grenzüberschreitungen. Wie in einer weiteren Studie, die Scariot ebenso zitiert, deutlich wird, ist die Infrastruktur eines Festivals maßgeblich für das Gefühl von Wohlbefinden und Sicherheit der Besucher:innen verantwortlich.

Die präventiven Maßnahmen

Wenn Awareness also nicht nur als reagierende Struktur implementiert wird, sondern sich zusätzlich mit Prävention beschäftigt, wie es beispielsweise die Awareness Akademie der Berliner Clubcommission oder die Initiative Awareness in ihren Must-Haves für Awareness-Strukturen beschreiben, kann das das Gefühl von Sicherheit der Besucher:innen stärken. Das kann etwa bedeuten, dass es keine dunklen Ecken oder Wege zwischen den Stages gibt, an denen sich besonders FLINTA-Personen unwohl fühlen, oder genügend Platz auf den Dancefloors, damit alle Besucher:innen möglichst ungestört tanzen können.

„Was genau unter Awareness zu verstehen ist, ist also noch lange nicht geklärt.”

Auch diese präventiven Maßnahmen können unter Awareness gezählt und durch das Awareness-Team angeleitet werden. Natürlich muss die Autorin für ihre quantitative Analyse den Forschungsgegenstand im Vorhinein bestimmen. Doch was, wenn dieser weder wissenschaftlich noch in der tatsächlichen Praxis einheitlich definiert werden kann? Wie viele Facetten Awareness in Definition und Praxis haben kann, fasst ein Kurzbericht des Forschungsunterfangens des Hamburger Clubkombinats gemeinsam mit der UdK Berlin zusammen. Die Bestandsaufnahme soll ermitteln, welche Vorstellungen und Umsetzungen von Awareness deutschlandweit im Umlauf sind. Dabei treten einzelne Clubs und Festivals, Awareness-Vereine, Clubvertretungen etc. als Akteur:innen mit stark auseinanderklaffenden Awareness-Verständnissen und -Maßnahmen auf. Was genau unter Awareness zu verstehen ist, ist also noch lange nicht geklärt.

Die letzten Einschränkungen

Das schmälert die Erkenntnisse der Studie erheblich. Denn diese kann nur Aussagen bezüglich des Awareness-Konzepts von FKP Scorpio und keine generellen bezüglich des Wirkens von Awareness-Maßnahmen treffen. Zudem kann es sinnvoll sein, sich vorerst qualitativ dem eigentlichen Forschungsgegenstand anzunähern. Einen interessanten Impuls setzte diesbezüglich die Forschungsarbeit von Diana Raiselis zum Berliner Veranstaltungskollektiv LECKEN. Dabei konnte sie politische Haltungen, handlungsleitende Konzepte sowie Umsetzungsmöglichkeiten in Clubräumen des Kollektivs ermitteln, die einen Grundstein für zukünftige Forschung zum Thema legen.

Letztendlich dient die Kritik der Studie von Scariot nicht dem Anzweifeln der Einhaltung wissenschaftlicher Standards und Methodiken. Die Studie gibt durchaus Anhaltspunkte, wie Awareness-Maßnahmen sowie ihre Wirkung quantitativ gemessen werden können, doch greift dem Forschungsgegenstand etwas voraus.

Denn hier wird Awareness als definiert suggeriert, obwohl sich bundesweit noch dazu auseinandergesetzt wird, was der Begriff überhaupt bedeutet. So macht die Studie keine allgemeingültigen Aussagen zu Awareness, sondern reiht sich ein in die Diskussion darum, wie Awareness verstanden und umgesetzt werden kann oder (nicht) sollte, um das Sicherheitsgefühl aber auch die tatsächliche Sicherheit von Veranstaltungsbesucher:innen zu verbessern.

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