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Dangermami: Die klassische Rollenverteilung umdrehen

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Dangermami ist seit Jahren ein DJ-Fixpunkt in der Berliner Bass-Music-Szene. Mit ihrem Sound deckt sie Bass, Drum and Bass, Dubstep und Footwork ab. Das heißt: In ihren Sets kann gebouncet werden. 145 Beats in der Minute sollten es für Dangermami schon sein. Tendenz: eher schneller.

Als Bookerin im RSO.Berlin und Gründerin eines Mentoring-Programms für FLINTA*-DJs, Femme Bass Mafia, hat sich die in Frankreich aufgewachsene Lilia van Beukering außerdem längst über die Grenzen ihres Wohnorts Berlin hinaus einen Namen als Veränderin gemacht.

Im Gespräch mit GROOVE-Autor Jacob Runge erzählt sie, wie sie von der Pariser Kunstuni in einem der größten Clubs Berlins gelandet ist. Und was sie sich von DJ-Workshops für FLINTA in einer männerdominierten Musiklandschaft erhofft.

Berlin, Januar. Während draußen der Winter wütet, liegt drinnen der Geruch von frisch gemahlenem Kaffee in der Luft. Ich sitze im Bully’s Bakery, einem kleinen Café in Neukölln, und warte auf Lilia. Sie schreibt, dass sie sich ein paar Minuten verspäten wird, also bestelle ich. Aber da schwingt schon die Türe auf. Nasse Kälte strömt herein. Lilia begrüßt mich mit einem Strahlen im Gesicht.

Geboren in Russland, wächst Lilia van Beukering in einem musikalischen Haushalt in Rotterdam und später in der Nähe von Paris auf. Ihr Vater, ein Bassist, und ihre Mutter, die eine Vorliebe für R’n’B-Klassiker hat, legen den Grundstein für ihr musikalisches Interesse. „Außerdem war MTV immer an”, sagt Lilia und lacht. Von den Rolling Stones oder Sex Pistols bis hin zu russischem Pop und UK-Grime habe sie dort früh so einiges entdeckt.

Elektronische Musik lernt Lilia als pubertierende Teenagerin kennen. Der ältere Bruder ihrer Freundin spielt ihr eine Platte von Ed Banger vor – dem Label von Justice, DJ Mehdi und Mr. Oizo. Die Musik öffnet ihr die Welt von Dirty Dubstep und UK Grime. Sie ist fasziniert und verliert sich in den Bässen.

Dangermami (Foto: Nicho Santini)

Ein Bekannter stellt ihr schließlich Techno vor, versorgt sie mit Platten, zeigt ihr die Klassiker, Raritäten und Must-Haves des Genres. Irgendwann kauft Lilia selbst: für ihn und für sich. Vor allem aber für das anpeitschende Gefühl, das die Musik in ihr auslöst.

Als ihr jemand in einem Plattenladen Black Water von Octave One in die Hand drückt, gibt es kein Zurück mehr. Mit einem gefälschten niederländischen Pass, der damals einfach aufzutreiben gewesen sei, kommt Lilia das erste Mal in einen Pariser Technoclub. Fasziniert von der Musik und Community, ist sie bald überall in der französischen Hauptstadt unterwegs – überall dort, wo Techno läuft.

Der Weg nach Berlin

In den frühen Zehnerjahren fährt Lilia zum ersten Mal nach Berlin. Sie ist begeistert von den Clubs der deutschen Hauptstadt, will bleiben. Doch in ihrer Heimat wartet zunächst noch ein Karrierewunsch in der Kunstwelt. Bis 2015 studiert sie in Paris Management und Kunsthandel. Ihr Ziel: Ausstellungen kuratieren und irgendwann eine eigene Galerie führen. 

Doch die Realität entpuppt sich als elitär und schlecht bezahlt. Ihre Sehnsucht nach Berlin erstarkt wieder. Für ein Praktikum im Museum der Farben kehrt sie schließlich zurück, diesmal für drei Monate. In dieser Zeit erkennt Lilia erneut, welche kulturellen und kreativen Möglichkeiten die Stadt für sie bietet.

Nach ihrem Praktikum steht sie vor der Entscheidung. Zurück nach Paris gehen oder in Berlin bleiben. Sie entscheidet sich für letzteres. Bei Jackmode – einer Berliner Künstler:innenagentur, die unter anderem Kollektiv Turmstrasse, Monkey Safari oder Sasha Carassi vertritt, findet sie schließlich einen Job. 

Dangermami (Foto: Lior Neumeister)

Die Agentur verlässt sie bald wieder. Von 2018 bis 2022 arbeitet sich Lilia allerdings zur Managerin bei Beatport hoch. Dann kommt der Zufall ins Spiel: Sie wird als Beraterin für die Partyreihe PLASMA im RSO dazugeholt. Bei einem Mitarbeiter:innen-Dinner kommt sie mit dem damaligen Booker ins Gespräch.

Lilia kündigt ihren Job bei Beatport, zieht sich erste Tracks und lernt die Basics des Mixings.

Eins kommt zum anderen, und Lilia wird fest ins RSO-Team aufgenommen. Von nun an kuratiert sie die PLASMA-Nächte. Als die Booker-Position neu besetzt werden soll, übernimmt kurzerhand Lilia die Stelle. So stellt sie 2022 das monatliche Line-up zusammen, koordiniert externe Partner und hält die Fäden der Eventplanung in der Hand.

Bye Bye Beatport

Zu diesem Zeitpunkt ist Lilia längst selbst als DJ aktiv. Sie legt sie in Berliner Locations wie dem ://about blankCrack Bellmer oder der Re:mise auf. Angefangen habe Lilia aber während des ersten Lockdowns, zu Hause. Ihr damaliger Mitbewohner sei DJ gewesen, er habe ausschließlich Vinyl aufgelegt. Sie sei auf der Couch gesessen und habe bloß zugeschaut.

Über Facebook-Gruppen wie „International Women of Berlin” oder „Girls Gone International” sucht Lilia nach FLINTA*-Personen, die Lust auf UK Bass und ähnliche Genres haben.

Diese klassische Rollenverteilung habe sie bald umdrehen wollen, sagt Lilia. Sie kündigt ihren Job bei Beatport, zieht sich erste Tracks und lernt die Basics des Mixings. Dabei setzt sie von Anfang an einen musikalischen Fokus auf Bass und Dubstep an der Schnittstelle zwischen Drum and Bass und Footwork.

Lilia vertieft ihr Interesse, kauft immer mehr Musik. Und legt sie auf. Sie möchte damit den Legenden des Genres Respekt zollen, wie sie sagt. Auch deshalb tauchen immer wieder moderne Klassiker wie „Protected” von J:Kenzo oder Cosmin TRGsStrobe Lick” in ihren Sets auf. Nicht nur als Hommage, sondern Kontinuitätslinien der elektronischen Musik aufzuzeigen.

„Mommy, I’m in Danger!”

Zu ihrem DJ-Namen kommt Lilia übrigens dank einer filmreifen Aneinanderreihung von Geschehnissen, die ihren Ausgang in der Griessmuehle nimmt. „Ich hatte Besuch aus Costa Rica. Wir waren zu einem wilden Jungle-Set tanzen. Dann sind wir leicht angetrunken bei einem Dönerladen im S-Bahnhof Sonnenallee gelandet”, so die DJ.

Als beide ihren Döner in der Hand haben und sie sich wegdrehen, fragt ihr Besuch: „Hast du bezahlt?” Lilia sieht ihn verdutzt an: „Keine Ahnung, hast du?” Der Besitzer scheint jedenfalls nicht aufgepasst zu haben. Und: Die späte Stunde verleitet beide dazu, schnell aus dem Laden zu springen.

Dangermami (Foto: Nicho Santini)

Draußen dann: großes Gelächter. Lilia muss sofort an eine Simpsons-Folge denken, bei der Ralph Wiggum in einem außer Kontrolle geratenen Bus sitzt und „I’m in danger” sagt. Ihr Besuch fügt hinzu: „Mommy, I’m in danger.” So wird aus einem Insider-Witz Lilias DJ-Alias Dangermami.

Femme Bass Mafia

Ein anderes Projekt gründet Lilia 2020, in Isolation: die Femme Bass Mafia, ein DJ-Mentoring-Programm für FLINTA*-Personen. Die Idee dafür habe sie schon gehabt, als sie bei Beatport angefangen hat, so Lilia. Ihre Vision ist eine interne Übungsgruppe für angehende FLINTA*-DJs. Doch die Firma lehnt ab. Zu viel Aufwand, zu wenig Nutzen, habe es geheißen.

Lilia nimmt das Projekt selbst in die Hand. Den musikalischen Fokus der Femme Bass Mafia legt Lilia – wie bei ihrer DJ-Karriere – naturgemäß auf Bass Music. Sie habe genug gehabt von der gefühlten Eintönigkeit der Berliner Clubszene, erzählt sie. Über Facebook-Gruppen wie „International Women of Berlin” oder „Girls Gone International” sucht sie nach FLINTA*-Personen, die Lust auf UK Bass und ähnliche Genres haben.

Aktuell fasziniert Lilia vor allem die Range zwischen 140-BPM-Dubstep, Deep-Dubstep und trippigen 160-BPM-Elementen.

Zuerst zweifelt sie, ob überhaupt jemand daran Interesse haben wird. Doch die Bewerbungen häufen sich. Nach den ersten zwei Workshops ist klar: Das Konzept funktioniert. Freundschaften formen sich. Eine Community entsteht. Heute sagt Lilia: „Femme Bass Mafia gibt mir nicht nur eine Plattform, sondern eine Berufung.” Hier könne sie sich auf das konzentrieren, was sie liebt: Musik und Menschen. 

Femme Bass Mafia (Foto: Vanda Petrella)

Besonders die enge Zusammenarbeit mit anderen Musikschaffenden und Mentor:innen trägt dazu bei, dass das Projekt immer weiter wächst. Es ist eine Community, die ihre Vision teilt, ihre Bemühungen versteht: Menschen, die sich gegenseitig supporten. Lilia ist stolz darauf, dass sie mit Femme Bass Mafia etwas geschaffen hat, das Bestand hat – eine Plattform, die nicht nur sie, sondern viele andere nach vorne bringt.

Allerdings sieht Lilia trotz allen Erfolgen auch die Grenzen des Projekts. „Berlin ist so eine Blase”, sagt sie. „Wann immer wir mit Femme Bass Mafia in andere Städte oder Clubs im Ausland kommen, merke ich: Wir sind in dieser fast idealen Szene, in der alles gleichberechtigt ist und niemand ein Arschloch, aber es gibt noch so viel zu tun.” Wobei natürlich, wie Studien und Erfahrungsberichte zeigen, auch in Berlin Diskriminierung stattfindet.

Zwischen 140 und 160 BPM

Inzwischen balanciert Lilia Femme Bass Mafia und ihre DJ-Karriere. Das Mentoring-Programm sei „ihr Baby”, gleichzeitig legt sie großen Wert auf ihr Soloprojekt Danagermami. Auch deshalb will sich Lilia unabhängig positionieren, getrennt von ihrer Arbeit mit Femme Bass Mafia eigene Slots spielen. Dieses Gleichgewicht zu finden, hilft ihr, sich als Künstlerin klarer zu definieren. 

Am Anfang ihrer Karriere tendierte Lilia dazu, intensivere, rohe Sounds zu spielen, die starke Emotionen widerspiegeln. Doch sie entwickelte sich weiter, begann, weicher und subtiler aufzulegen. Aktuell fasziniert sie vor allem die Range zwischen 140-BPM-Dubstep, Deep-Dubstep und trippigen 160-BPM-Elementen. 

„Ich genieße es, damit herumzuexperimentieren und diese Geschwindigkeiten in meine Sets einfließen zu lassen”, so Lilia. Damit möchte sie eine „emotionale Reise” möglich machen – geprägt von der Stimmung des Abends und ihrer eigenen Energie. Für ihre Sets bereitet sie deshalb immer „einen Plan B oder C” vor. „Für den Fall, dass etwas schiefgeht”, betont sie.

Crazy Slot in Belgien

Zum Abschluss unseres Gesprächs frage ich Lilia, welcher Gig ihr am meisten im Kopf geblieben ist. Sie überlegt nicht lange, erinnert sich sofort an ein Set, das sie 2024 beim Horst Arts & Music Festival in Belgien gespielt hat. Sowohl ihr Bruder, ihr Manager und einer ihrer besten Freunde seien extra angereist, um ihr die Nervosität zu nehmen.

„Da war diese riesige Bühne. Octo Octa hat vor mir aufgelegt. Ich war als vorletzter Act des Abends gebucht – für mich eine unglaubliche Ehre”, so Lilia. Und ein Erfolg: Nach dem Auftritt wird sie weitere Male in Belgien gebucht — Freundschaften entstehen. Dieses Zusammenspiel und ihr damaliger crazy slot”, wie sie ihn selbst beschreibt, führten dazu, dass sie seitdem eine ganz besondere Verbindung zur belgischen Szene hat.

Als Lilia die Tür des Neuköllner Cafés aufstößt, peitscht uns der kalte Berliner Winter ins Gesicht. Wir gehen noch ein paar Schritte bis zur Bushaltestelle, dann muss sie weiter, zum Hermannplatz. Um weiter daran zu arbeiten, dass aus der Blase eine offene Community werden kann.

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