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Motherboard: April 2025

Der in Los Angeles lebende John Tejada hat sich um die Jahrtausendwende als Minimal-Techno-Producer einen guten Ruf erarbeitet. Mit einem Sound, der zwar noch spartanisch und aus Analog-Maschinen gemacht wirkte, aber doch deutlich melodischer, süffiger und organischer als viele andere im Business war. Die kleineren und größeren Abschweifungen in Pop und Electronica, die folgten, waren keine Ausreißer, sondern natürliche Konsequenz seiner Idee von Techno. Wie offen er dabei agiert, zeigt die inzwischen fünfteilige Talentshow John Tejada presents Future Stars auf dem britischen Label Touched Music. Die klassisch ausgebildete Musikerin und Vokalistin March Adstrum war in der bislang jüngsten Folge der Serie vertreten. Im Duo Optometry projizieren die beiden ebenso selbstverständlich Tejadas typische warme analoge Synth-Sounds auf Adstrums Gesang in einen von den Achtzigern beeinflussten Pop-Appeal. Auf dem zweiten gemeinsamen Album Lemuria (Palette Recordings, 21. Februar) oft als Minimal-Wave akzentuiert, aber ebenso gerne als Indie-Pop mit Gitarren-Twang oder mit fluffigem Shoegaze-Wusch. Selbstredend immer in der klaren, übersichtlich groovenden Ästhetik einer modernen Techno-Produktion.

Bevor wir gleich ins Reich der äthergetränkten Erdbeeren entschweben, noch eine handfeste Empfehlung aus den erdfesten Tiefen des freigeistigen Post-Punk-Techno. Snapshot of Pure Attention (Sinnbus, 11. April), Mini-Debüt des Berliner Trios Painting, fährt die Koordinaten von Kunsthochschul-Prog und barockem Math-Rock souverän ab, bindet diese allerdings mit geradem Beat und abwechselndem Shouting zu einer modernen Indie-Rave-Variante, die energetisch immer am blanken Maximum entlang schrubbt. Müßig zu erwähnen, dass darin jederzeit noch frei-quietschende Saxofon-Soli nach Art des frühen John Zorn oder späten James Chance möglich sind. Stoppelige Holperbeats und knarzende Twang-Funkbässe sowieso.

Und was würde sich besser zum sanft entleibten Entschweben eignen als das fragile Songwriting der Japanerin Satomimagae auf Taba (RVNG Intl., 25. April). Es sind sorgsam ausgearbeitete, mit Aufmerksamkeit für kleinste Details arrangierte Folksongs, die doch jederzeit auseinanderfallen können. Was vielleicht einmal im psychedelischen Acid-Folk der Sechziger versucht wurde, die Vereinigung von erdiger, substanzieller Wirkung und ephemerer Nicht-Wirkung, findet hier eine zeitgemäße Fortsetzung mit elektroakustischen Mitteln.

Wie sich selbstgewählte Isolation auf einem Segelboot im Nordatlantik, auf einer Insel vor der bretonischen Küste auf ultimativ kollaborative Weise als künstlerische Vielfalt manifestieren kann, zeigen die zwei offenbar parallel entstandenen Arbeiten von Émilie Quinquis und Yann Tiersen. Letzterer hat mit der raumgreifenden Album-Suite Rathlin from a Distance | The Liquid Hour (Mute, 4. April) mal wieder einen Neustart hingelegt, der vergangene Errungenschaften zu würdigen weiß, aber doch hinter sich lässt. Der erste Teil des Doppels besteht aus intimen Solo-Piano-Etüden, minimalistisch und zurückhaltend, doch schwelgerisch in Melodik und Harmonie. Etwas, das Tiersen schon länger nicht mehr liefern wollte (nur zu verständlich, wo auf Konzerten noch immer nach „Amélie” verlangt wird). Die zweite Hälfte, dann das emotionale Gegenstück, ist überbordende Kirmes-Electronica, äußerst üppig und detailreich arrangiert. Nach abgeklärt langweiligem Alterswerk hört sich keiner der beiden Teil an. Hier spielt eindeutig einer, der noch etwas will.

Aus derselben Wahlfamilie, von derselben einsamen atlantischen Insel: Émilie QUINQUIS traut sich ebenfalls von Ambient- und Synthesizer-Experimenten über Neoklassik zu Electro-Pop und wieder zurück – und zwar gerne im selben Stück. Auf ihrem zweiten Soloalbum EOS (Mute, 9. Mai) – wie das von Yann Tiersen von Kollaborationen und vielerlei Zusammenarbeiten geprägt – fasst sie die vielen Fäden locker, aber bestimmt zusammen – zu einem dunkel-funkelnden Stück Minimal-Gothic-Pop. Aus Ambient und Stille gemacht, aber mit geradem Beat und Emotion versehen. Ein großartiges Album, das komplett ohne die Klangklischees der Dunkelheit glimmend zu glänzen weiß.

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