Einer gewissen Portion orchestralem Pathos war Erwan Castex nie abgeneigt. Was sich gut damit trifft, dass er einmal vom Filmemachen kam und via Soundtrack inzwischen regelmäßig zum Film zurückkehrt. Das gute, das genau richtige Maß an Emotions-Boostern aus monumentalen Synthesizerwellen und großer Streicherbesetzung zwischen knirschend zurückhaltenden Noise-Modernismen hat Castex alias Rone inzwischen mehr als nur perfektioniert. Komplett verinnerlicht sogar, was den Score zu Le Mohican (Infiné, 5. Februar) angeht. Wie der Öko-Thriller des französischen Regisseurs Frédéric Farrucci, mit dem Castex bereits zum zweiten Mal arbeitet, sich anfühlen wird, lässt der Soundtrack jedenfalls schon sehr gut erahnen. Die Musik ist eben schon ein Film für sich.
Die außergewöhnliche Rolle, die Muzan Editions im globalen Ambient-Business spielt, habe ich im Rahmen dieser Kolumne schon öfter erwähnt. Dass es dem kleinen Tape-Label aus Osaka immer wieder gelingt mit lokalen wie mit weltweit befreundeten Künstlerinnen und Künstlern eine definitive Landkarte von Ambient, Deep-Techno und Electronica zu schreiben, bestätigt die jüngste Mammut-Veröffentlichung Split I / Split II / Split III (Muzan Editions, 14. Februar). Ein Batch aus drei Kassetten, ein Labelsampler mit exklusiven Stücken, die – wie immer eigentlich – weder prominente Einzelnamen herausstellen noch permanent nach Aufmerksamkeit heischen. Stattdessen, Tiefe und Dauer, Permanenz und Persistenz.
Ein weiterer Name, der hier nicht zufällig immer wieder zu lesen ist, ist worriedaboutsatan, das langjährige erst Band-, dann Soloprojekt des Yorkshirers Gavin Miller. Es gibt eben niemanden, der den Geist des spätromantischen britischen Achtziger- und Neunziger-Indierock so konsequent in elektronische Stille einbettet und emotional neu denkt. Was praktisch jedes der nicht so seltenen worriedaboutsatan-Alben zu einer besonderen Delikatesse macht. The Future Can Wait (worriedaboutsatan, 14. März) ist keine Ausnahme. Nach der eher herzhaft-derben Remix EP More Meat for the Grinder des nahe geistesverwandten Nathan Fake verzichtet Millers jüngstes Album nun wieder auf Beats und Pathos. Nicht aber auf butterweichen Bass und die schwermütigen Shoegaze-Gitarren-Jangles in drei ausladend langformatigen Synth-Ambientstücken.
Erstaunlich, wie sich die Dinge manchmal beinahe von allein ergeben. Der Schweizer Jürg Frey ist so ein Beispiel. Als Festivalleiter und Komponist fest im Netzwerk zeitgenössischer Klassik verankert, als Teil der Wandelweiser-Gruppe an ihrer Erweiterung und Öffnung zur Improvisation hin wesentlich beteiligt, wurde Frey in den vergangenen Jahren so etwas wie ein heimlicher Star des Ambient. Das ist nicht so abwegig, wie es scheinen mag, denn Freys Stücke – meist für kammermusikalische Besetzung – mögen zwar akustisch und analog sein. Sie zeigen allerdings oft ambiente Qualitäten. Sie nehmen Atmosphäre wichtiger als Struktur, sind tonal und harmonisch täuschend simpel, spielen in Dauer, Differenz und Wiederholung um die Stille herum. Sie zeichnen sich generell durch die Abwesenheit übergroßen musikalischen Egos aus – in aller Konsequenz und Stringenz über Jahrzehnte hinweg. Zwei aktuelle Veröffentlichungen demonstrieren das aufs Schönste: Die vom Quatuor Bozzini eingespielten String Quartets (Collection QB, 7. März) waren zwischen den späten Achtzigern und der Jahrtausendwende entstanden, die vom Prague Quiet Music Collective interpretierten Stücke auf Longing Landscape (Another Timbre, 28. Januar) sind dagegen brandneu. Beide zeigen, was Neue Musik mit Ambient zu haben kann (sehr viel), ohne sich dabei irgendwo anbiedern zu müssen, ohne an Komplexität und (sehr leiser) Radikalität zu verlieren.
Altin Village & Mine, das freundschaftlich weltumspannende Label des Leipzigers Marcel Schulz, feiert aus gegebenem Anlass (aber ohne spezifisches Jubiläum) die internationale Solidarität und musikalische Nachbarschaft mit gleich zwei Veröffentlichungen: der Kompilation „Free╱Future╱Music“ Altin Village & Mine Mixtape Volume 1 (Altin Village & Mine, 22. April) sowie Re:Polyism (Altin Village & Mine, 28. März), einer Zusammenstellung von Neuinterpretationen und Remixen von Polyism des ebenfalls Leipzigers Friedrich Brückner alias Modus Pitch. Auf beiden Alben versammeln sich, bunt durcheinander gewürfelt, und sorgfältigst durchmischt, assoziierte Labelkünstler:innen mit Freunden von Freunden zu einer Feier der Nähe in Entfernung. Stilistisch geht es selbstredend hoch her, von Afrobeat bis Dub, von Tech-House bis Free Jazz, konvergiert in milder Electronica freier Geister.