Berlin hat einen neuen Club. Also, na ja, auch einen weniger, denn: die Anomalie macht nach zwölf Jahren zu. Dafür kommt „HIVE”. Und zwar endgültig. Nach einigen gehosteten Partys vor Ort übernimmt das Veranstaltungsunternehmen hinter 20.000-Leute-Raves die Location in der Storkower Straße. „DSTRKT Berlin” soll „a new beginning” mit vielen Änderungen sein. Es könnte aber auch ein Ende sein.
Um das zu verstehen, müssen wir zurück zum Ursprung: Das Hive Festival debütierte 2021 in Ferropolis, auf dem ehemaligen MELT-Gelände. Dort brachte man auf Bühnen, was zuvor auf TikTok passierte: Böllertechno und Bewegungsabläufe, die der arrivierte Clubgeher zuvor noch nicht gesehen hat. Dazu kamen viele junge Menschen, die sowieso schon nakt rumliefen und also: ein Festivalkonzept, das so gut in die Nach-Corona-Euphorie passte wie Skrillex ins Berghain.
Einmal raven, bitte
Hive steht dabei für eine Entwicklung, bei der die Ästhetik im Vordergrund steht. Ein bisschen bordsteinkantiger ausgedrückt: Hauptsache, jemand macht geile Bilder. Als profitorientiertes Unternehmen mit klarem Fokus auf Wachstumslogik und Markenbildung zählt nur die Inszenierung – Insta-ready und mit Erlebnisproduktion muss der Rave ein Event sein, das man hochkant konsumieren kann.
Dass Hive nun in Berlin den Club Anomalie übernimmt – nicht nur als Veranstalter, sondern mit strukturellem Einfluss auf Booking, Branding und Organisation –, ist ein konsequenter Schritt innerhalb dieser Logik. Der Club wird zum verlängerten Arm des Produkts, zur permanenten Außenstelle eines temporären Großevents. Und das verändert nicht nur die Rolle des Clubs, sondern auch die der sogenannten Szene.
Wo früher lokale Crews oder wechselnde Besetzungen den Ton angaben, übernehmen heute Eventagenturen mit ausgefeilten PR-Konzepten. Entscheidungen über Gagen, Line-ups, Awareness-Strategien oder Gestaltung werden nicht mehr vor Ort getroffen, sondern im Kontext von Markenwert und Zielgruppenanalyse. Der Club als kulturelles Biotop wird ersertzt durch einen standardisierten Erlebnisraum. Ein Raum, der zwar hohe Qualität bietet – aber kaum noch Brüche zulässt.
Komm‘, Content, komm‘!
Ironischerweise führt diese Eventlogik dazu, dass sich Festivals und ihre Ableger zunehmend gleichen. Was einmal spektakulär war, ist jetzt Standard: große Namen, große Gagen, große Erwartungen. Doch in dieser Uniformität verliert sich das Besondere. Plötzlich geht es nicht mehr darum, eine Szene zu gestalten – sondern ein Produkt zu verkaufen, das sich gut in Storys und Sponsoringverträge übersetzen lässt.

Die Übernahme der Anomalie durch das Hive Festival wird in alldem zum Symptom einer – sagen wir es so, dass es auch die Wochenzeitungsleser:innen verstehen – kulturindustriellen Verschiebung. Räume, die einst als Gegenwelt zur Verwertungslogik gedacht waren, werden darin selbst zur Ware. Und das Publikum? Befördert zur Zielgruppe, zur Nutzer:innengruppe, zum Content-Produktionsbüro.
Die Gefahr dieser Entwicklung ist die Verdrängung des Experimentellen. Denn was sich gut planen lässt, lässt sich auch gut kontrollieren. Und wo Kontrolle herrscht, gibt es selten Überraschung. Formate, die keine klare Zielgruppe bedienen, werden gestrichen. Künstler:innen, die nicht ins Bild passen, nicht gebucht. Awareness-Prozesse, die keine schönen Schlagzeilen produzieren, bleiben unausgeführt. Der Rave wird zur Bühne – aber nicht mehr zur Probe.
Clubkultur formatiert
Deshalb hebt „DSTRKT Berlin” als große Neuerung auch sein neu eingeführtes „Boiler Room stage setup” hervor. Möglichst nah ran soll es zukünftig gehen, damit alles sichtbar ist: das DJ-Pult mittig, das Publikum drumherum – Nähe als Spektakel, Intimität als Inszenierung.
Damit imitiert man nicht nur einen Stil, sondern übernimmt ein ganzes Format. Ein Look, der längst global codiert ist, als viral tauglich und kommerziell nutzbar. Es geht also nicht darum, wie gefeiert wird, sondern wie es aussieht. Nicht um Kollektivität, sondern um Kameraperspektiven. Der Clubraum wird so zum Content-Container. Und das, was wir immer und immer wieder Clubkultur nennen, soll sich doch bitte den Formaten anpassen.
Wenn Clubs jedoch anfangen, wie Festivals zu denken, und Festivals anfangen, wie Plattformen zu funktionieren, dann verlieren wir Räume, die nicht auf Performance, sondern auf Präsenz ausgelegt waren. Insofern: Ja, toll, Berlin bekommt einen neuen Club, „a new beginning”. Vielleicht verliert es hier aber auch gerade etwas, das wir irgendwann noch schmerzlich vermissen.